Chinesischen Produkten wurde in der Vergangenheit häufig ein schlechter Ruf nachgesagt. Neben billiger Verarbeitung ist der Markt vor allem für zahlreiche Fälschungen bekannter Markenprodukte bekannt. Deswegen verwundert die Frage nach Uhrenmodellen aus chinesischer Herstellung mit Sicherheit. In Sachen mechanische Werke bringt das Reich der Mitte jedoch einen reichhaltigen historischen Fundus mit, den wir uns an dieser Stelle anschauen möchten. Nachfolgend also ein Blick auf die Geschichte der chinesischen Uhrenindustrie.
Die Geschichte der chinesischen Uhrenindustrie
Die Geschichte der Uhrenindustrie in China geht bis in die Mitte der 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts zurück. Auf Anordnung des Staates beginnen Forschung und Entwicklung für die Herstellung eigener mechanischer Werke. Anfangs arbeiten nur wenige Personen an der Entwicklung eines ersten Prototyps. Unter dem Namen WuXing, was so viel wie fünf Sterne bedeutet, entsteht ein Uhrwerk in Kleinserie. Allerdings ist das erklärte Ziel des neuen Industriezweigs eine Skalierung, um eine größere Menge von Uhrwerken und schließlich Uhren herstellen zu können. Dabei geht es zuerst um den Verkauf auf dem eigenen Markt, da eine internationale Marktöffnung noch aussteht. Drei Jahre nach der Kleinserienfertigung eröffnet die Tianjin WuY Uhrenfabrik. Dort entstehen Modelle unter dem Markennamen WuYi. Die Werke erweisen sich als besonders robust und verlässlich, weswegen sie bis zum Jahr 1971 hergestellt werden. Im Zeitraum der Eröffnung des ersten Standortes werden sieben weitere Fabriken für die Herstellung und Entwicklung von Uhren in China eröffnet.
Inspiration aus der Schweiz
Tatsächlich sind die eigenen Designs in der Anfangszeit des chinesischen Marktes auf Grundlage von Designs aus der Schweiz entstanden. Abwandlungen waren allerdings so groß, dass sie sich nicht als Klone bezeichnen lassen. Mit dem ST5 entsteht erstmals ein Uhrwerk komplett in China und verzichtet auf diese Design-Grundlage als Inspiration für die eigene Gestaltung. Militärische Uhren von Sea-Gull zählen wohl zu den bekanntesten Modellen, die auf dieses chinesische Uhrwerk setzen. Um eine weitere Vergrößerung des Herstellungsvolumens erreichen zu können, bringen die 60er-Jahre die Entwicklung eines sogenannten Standard-Uhrwerks.
Tongji
Dafür steht der Begriff Tongji und dahinter steckt die Entwicklung eines neuen Prototyps unter dem Namen SZ-1. Unternehmen und Wissenschaft schließen sich zusammen, um die Stärken und Fähigkeiten von Uhrwerken aus der Schweiz eingehend zu studieren. Das auf diesem Weg gesammelte Wissen fließt schließlich zusammen, um die Basis eines neuen mechanischen Werkes zu schaffen. Alle Uhrenfabriken müssen das neue Standard-Uhrwerk als Basis ihrer neuen Uhrenmodelle einsetzen. Die vorherigen eigenen Designs und Entwicklungen verschwinden somit (bis auf wenige Ausnahmen) vom Markt. Die 80er-Jahre bringen mit der Öffnung für den Weltmarkt den nächsten Umschwung für die Uhrenindustrie in China.
Vom Neuanfang in die Krise
Joint Ventures mit zahlreichen ausländischen Unternehmen bringen zahlreiche billige Quarzwerke ins Land, die mit in China hergestellten Gehäusen kombiniert werden. Dadurch entstehen gutaussehende und präzise Uhrenmodelle, die sich zu günstigen Preisen verkaufen lassen. Zur gleichen Zeit finden große Veränderungen in der klassischen Uhrenherstellung statt. Hier wird versucht, sich an die Bedürfnisse des Weltmarktes auszurichten. Konkret beginnt die Herstellung von Automatikuhren, da sich diese auf dem Weltmarkt zumindest noch teilweise als Erfolg erweisen können. Außerdem beginnt die Produktion von komplizierten Uhren. Es handelt sich allerdings weniger um funktionelle Erweiterungen als um möglichst aufwendig aussehende Funktionen. Das liegt auch daran, dass bereits existierende Werke umgebaut werden. So sinken die Produktionskosten, während sich gutaussehende Uhrenmodelle schaffen lassen. Das Vordringen auf den Weltmarkt sollte sich allerdings als riskanter Schritt mit Folgen erweisen. Es entstehen in den 90er-Jahren zahlreiche neue Hersteller, die Uhren für internationale Käufer produzieren. Sie verdrängen die klassischen chinesischen Hersteller, die sich nicht an die neue Situation anpassen können. Eine wirtschaftliche Krise und ein politischer Machtwechsel bedingen schließlich einen Kollaps der gesamten Industrie, womit die Historie der chinesischen Uhrenindustrie gegen 1997 ein jähes Ende findet.
Die Uhrenindustrie im heutigen China
Der chinesische Uhrenmarkt hat sich in der Zwischenzeit erholen können. Heute ist die Industrie nicht nur so vielfältig, wie niemals zuvor, sondern vor allem international ausgerichtet und verknüpft. Das sorgt dafür, dass sich die mechanischen Werke aus dem Reich der Mitte nicht mehr nur in Uhren aus selbigem finden. Tatsächlich sind sie inzwischen so weit verbreitet, dass sie sich in Uhren finden, die in der Schweiz zusammengesetzt werden. Es ist hierbei sogar ohne weiteres möglich, eine Uhr als Swiss Made zu bezeichnen, wenn diese auf ein chinesisches Uhrwerk setzt, aber in der Schweiz hergestellt wurde. Daneben setzen zahlreiche Uhren aus allen Bereichen des Preisspektrums. Oft unter fremden Namen und bei sogenannten OEM-Partnern. Die Beliebtheit der modernen chinesischen Uhrwerke hat allerdings einen Preis. Es geht um den Verlust der Eigenständigkeit zugunsten einer besseren Adaption an die Bedürfnisse des Weltmarktes. Viele Werke sind schlicht Klone von ETA-Mechaniken, deren Markenschutz ausgelaufen ist. Das Herstellungssegment setzt sich zusammen aus den wenigen Vintage-Herstellern, die die Krise überleben konnten, neuen Marktteilnehmern aus dem stationären Handel und zahlreichen Onlinemarken. Ähnlich wie die Uhrenindustrie der Schweiz konnte sich auch jene des Fernen Ostens von ihrer großen Krise erholen und an einen neuen Markt anpassen.